Die letzte „Prager Nacht“ ist vorbei: es war ein Fest! Zur Prager Nacht lesen Theaterschauspieler Texte tschechischer Autoren an ungewöhnlichen Orten in Dresden. Diesmal waren die Stationen unter anderem der Ratsherrenkeller, der Hauptbahnhof, das Hygienemuseum, das Polizeipräsidium, die Synagoge, die Neustädter Markthalle und noch ein paar andere.
Alle Orte habe ich auch dieses Jahr nicht nicht geschafft, obwohl sie viel näher aneinander lagen. Das soll aber auch nicht das Ziel sein. Mit etwas Beinarbeit habe ich aber die meisten abklappern können.
Anders als in den vergangenen Jahren, gab es keine Shuttle-Busse zwischen den einzelnen Stationen. Die Eintrittskarten galten aber die ganze Nacht für die DVB. Ich fand das angenehmer; Es lag so an einem selbst, wohin man als nächstes fuhr und ob man pünktlich ankam. Das Konzept gefällt mir besser als die Shuttle. Einige bemängelten, dass man sich so unterwegs seltener trifft und nicht ins Gespräch kommen kann. Nun, so viele optimale Wege gab es nicht, sodass sich doch irgendwie Grüppchen bildeten. Ich habe mich sehr nett mit einem älteren Ehepaar unterhalten.
Das bringt mich noch auf was: den Altersdurchschnitt. Und der war eher hoch; geschätzt über 45. Studenten habe ich eigentlich gar nicht gesehen. Die TU hat offensichtlich Literaturmuffel erzogen. Schade eigentlich, denn Flyer wurden verteilt.

Mathias Kopetzki liest Zeitzeugen-Bericht auf der Prager Nacht 2006

Am ungünstigsten lag das Hygienemuseum, wohin man am weitesten laufen musste – ist ja nicht schlimm. Im Hygienemuseum läuft gerade die Sonderschau „Tödliche Medizin Rassenwahn im Nationalsozialismus“. Passend dazu las Mathias Kopetzki dort einen »Zeitzeugen-Bericht«. Gemacht hat er das gut, allein: mir gefiel der Text nicht! Auch die Slovaken haben ‚ihre‘ Juden deportiert. Der Verantwortliche dafür konnte sich nach dem Krieg damit rechtfertigen, er habe nicht gewusst, was in Auschwitz passiert und als er es erfuhr, die Deportation so gut es ging gestoppt. Von 90.000 slovakischen Juden kamen trotzdem 70.000 um. Der Zeitzeuge, ein Jude und damals noch Kind, analysiert nun das Wie und Warum. Schlussendlich möchte er dem Verantwortlichen dessen Taten vergeben – allein, der ist schon tot. Mir gefällt sowas nicht, es relativiert zu stark, was vorgefallen ist. Solche Vergebung in der Generation, die ‚es‘ noch miterlebt hat, empfinde ich als einigermaßen unangebracht. Wie dem auch sei, Markus Kopetzki kann ich daraus kaum einen Strick drehen.

Johannes Haag liest Das Baßsaxophon im Ratsherrenkeller

Im Ratsherrenkeller brachte Johannes Haag Josef Škvoreckýs »Das Baßsaxophon. Jazz-Geschichten« zu Gehör. Die erzählende Person des Danny passt Johannes Haag: etwas zynisch etwas vorsichtig und skeptisch – klasse gemacht.

Matthias Klösel liest Die gestohlene Akte im Polizeipräsidium

Matthias Klösel im Polizeipräsidium war auch stark, nicht zuletzt auch wegen des komischen Textes von Karel Čapek »Die gestohlene Akte 139/VII. Abt. C«. Ein wenig habe ich mich an Jaroslav Hašek erinnert gefühlt (Der Brave Soldat Schwejk).

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Von dem gab es aber erst in der Neustädter Markthalle etwas zu hören: Jaroslav Hašek »Drei Mann und ein Hai«. Gelesen hat Renate Felber und mehr als einmal hat man im Publikum ein glucksendes Lachen gehört. Von ihr würde ich das eine oder andere Hörbuch gelesen haben wollen.


Vor der Markthalle war ich noch in der Synagoge. Mit dem obligatorischen Papphütchen durfte ich eintreten. Ich war noch nie drinnen gewesen: Die Wände sehen innen aus, wie außen und sind kahl. Ein goldener Vorhang trennt den eigentlich Gebetsraum der Länge nach vom Eingang. Vorn steht über die gesamte Breite eine hölzerne Wand und davor ein Pult. Die Gläubigen nehmen wie in Christlichen Kirche auf Bänken Platz. Dort wurde von Roland Florstedt aus Egon Erwin Kisch’s »Den Golem Wiederzuerwecken« gelesen. Eine Suche nach den Überresten des Golems von Prag. Kischs Texte faszinieren mich irgendwie. Ich wüsste gern, ob es am Übersetzer oder ihm selbst liegt. Diesen hier werde ich hoffentlich mal auftreiben können. Den vom Text letzten Jahr »Vierzehn Dinge in Sing Sing« konnte ich mir nicht beschaffen. Zum Ablaufbecken hinterm Zwinger habe ich es leider nicht geschafft und so den zweiten Text von Kisch an diesem Abend verpasst.

Ilka Metzner liest Der Bäcker Jan Marhoul in der Bäckerei RißmannIlka Metzner liest Der Bäcker Jan Marhoul in der Bäckerei Rißmann

In der Backstube war ich aber. Ilka Metzner habe ich tatsächlich erst für eine Angestellte der Bäckerei gehalten – aber nur kurz, ich hab mich nett mit ihr unterhalten. »Der Bäcker Jan Marhoul« von Vladislav Vančura wirkte von ihr doppelt komisch: Ilka Metzners zierliche Gestalt und dazu die Rolle eines dicken alten Bäckermeisters… Sie hat an diesem Abend von allen Lesenden am meisten geschauspielert; die versammelte Hörerschaft kicherte häufig. Ich fands toll.

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Meine vorletzte Station war das Fotostudio Mann: Thomas Stecher laß aus »Dezo Hoffmann und die Beatles!« (With the Bealtles). Hoffmann ist wohl der wichtigste Photograf der Beatles. Im gelesenen Auzug beschreibt Hoffmann kurz, wie er zu den Beatles kam und auch den säteren Bruch mit ihnen. Thomas Stecher hat das unglaublich gut gelesen, ich habe ihm die Rolle Hoffmanns sofort abgekauft – er agierte, als sei er Hoffmann selbst, zeigte zwischendurch Photos herum. Die beste Lesung dieser Nacht.

Helga Werner liest Wie ich sie kannte im Hauptbahnhof

Beendet habe ich diese kleine Lesereise im Hauptbahnhof in der DB Lounge. Josef Lada »Wie ich sie kannte« Erinnerungen und Anekdoten an und aus einem Künstlerkaffee. Helga Werner brachte einen guten Abschluss dieses Abends.


Wie gesagt, es wurden in der Prager Nacht nur Auszüge aus den genannten Texten gelesen. Was ich da oben geschrieben habe ist keinesfalls als Inhaltsangabe zu verstehen, nur der Schnappschuss des Gelesenen.

Leider war diese fünfte Prager Nacht in Dresden die Letzte. Die Robert Bosch Stiftung beendet die Förderung des Projektes. Ich finde das sehr Schade. Aber im nächsten Jahr soll etwas neues creatives gestartet werden. Ich bin gespannt. (swg)

Deutsches Hygienemuseum Weblink
Sonderausstellung „Tödliche Medizin Rassenwahn im Nationalsozialismus“
EINE AUSSTELLUNG DES UNITED STATES HOLOCAUST MEMORIAL MUSEUM bis 24. Juni 2007

Texte – Soweit ich sie finden konnte. Sollte ich mehr finden, werde ich das hier noch verlinken.

»With The Beatles The Historic Photographs of Dezo Hoffmann«
Dezo Hoffmann |Wikipedia|, Pear Marchbank; Verlag: London 1982
ISBN: 0711901112

»Die gestohlene Akte 139/VII. Abt. C«
Karel Čapek |Wikipedia|; Verlag:
ISBN:

»Drei Mann und ein Hai«
Jaroslav Hašek |Wikipedia|; Verlag
ISBN:

»Den Golem Wiederzuerwecken«
Egon Erwin Kisch |Wikipedia|; Verlag:
ISBN:

»Der Bäcker Jan Marhoul«
Vladislav Vančura |Wikipedia|; Verlag:
ISBN:

»Wie ich sie kannte«
Josef Lada |Wikipedia|; Verlag:
ISBN:

»Das Baßsaxophon. Jazz-Geschichten«
Josef Škvorecký |Wikipedia|; Verlag:
ISBN: 3421052506