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Manche Tage fahre ich emotional zu sehr Achterbahn. Gerade geht’s wieder abwärts: Der Chevy hat sein Problem mit der rechten Hinterradbremse wieder, sie wird heiß. Nicht kochend oder stinkenden, aber eben heiß. Schon die letzten Tage habe ich das wärmer werdenden Hinterrad misstrauisch befummelt, bei jedem Halt. Ich dachte, das Problem wäre mit dem Wechsel der Bremszylinder und des Blechkrams in der Trommelbremse erledigt. Offenbar nicht. Es macht mich fertig.

Wir sind auf dem Weg zur Wolfsschanze, wieder in zwei Etappen. Wieder mit Zwischenstopp an einem See. Zwischendurch müssen die Kinder einfach raus, sonst kriegt irgendwer ’nen Koller. Mika will im Chevy auch nicht mehr schlafen, es ist einfach zu spannend und seine zwei Schwestern bespaßen ihn ja so schön…

Am See war ich wieder rituell Felgen fühlen: Man verbrennt sich hinten rechts zwar nicht, aber länger anfassen will man auch nicht. So eine Scheiße! Was mach ich jetzt? Ich kann doch nicht einfach abbrechen und den ganzen Tripp sausen lassen?! Ich hab mit dem Umbau vom Chevy schon viel zu lange gebraucht, einmal fast hingeschmissen und 10 kg abgenommen! Ich muss nachdenken, Optionen checken. Die Kinder planschen im See und weil es schon nach eins ist brauchen wir Mittag. Tomate-Mozzarella ist noch da, Brot auch. Beim kontemplativen Schnippeln kann ich planen.Eigentlich ist es ja einfach: Nachgucken kostet nichts. Naja Schweiß und wahrscheinlich dreckige Hände. Obwohl: ich hab aus irgend einem Grund Arbeitshandschuhe ins Werkzeug gepackt. Nach dem Essen inspiziere ich das Problem. Es schleift, das merkt man schon beim Aufbocken, wenn man am Rad dreht. Es schleift nicht so stark aber reicht eben für ein heißes Rad. In der Trommel gibt es das alte Bild von viel Bremsenstaub und dem sehr weit aufgedrehten Nachsteller. Warum passiert das?! Erstmal pi-mal-Daumen den Nachsteller wieder zudrehen und zusammenbauen. Schleifen weg.

Und jetzt? Weder gefällt mir der Gedanke umzudrehen, noch einfach so weiterzufahren. Schrauber anrufen! Schrauber anrufen ist bei sowas immer eine gute Idee. Man kann laut denken, während das andere Ende nickt oder den Kopf schüttelt. Es dauert, ehe ich ihn dran bekomme. Hätte er erstmal nicht anders gemacht, sagt er, zudrehen und wieder zusammenbauen. Und: Weiterfahren, im Auge behalten, zur Not wieder reindrehen. So ein Ami ist auch nur ein West-Russe, da geht so schnell nichts ernsthaft kaputt. Moralische Unterstützung ist auf solchen Touren unverzichtbar. Ich werde halt weiter nach jeder längeren Strecke rituell die Chevy-Felgen streicheln.

Also fahren wir weiter zur Wolfsschanze. Es gilt wieder dem Unwetter zuvor zu kommen, es soll wieder Gewittern. Natürlich ist auf der direkten Route zu oll‘ Hitler seinem Ost-Hauptquartier eine Straße gesperrt. Googles Umleitung enthält nur gelbe und weiße Straßen. In Polen heißt das, ihr habt’s gelesen, eventuell nur befestigter Wirtschaftsweg. Oft ist es auch ’nur‘ übler Zustand. Und wir werden nicht enttäuscht. Ein hubbeliges Auf und Ab, das den Chevy schwanken und schaukeln lässt, wie einen besoffenen Matrosen auf Landgang. Die Polen hält das natürlich nicht davon ab, mit halsbrecherischer Geschwindigkeit trotzdem noch zu überholen. Immerhin warten sie auf einsehbare Stellen.

An der Wolfsschanze ist nicht so viel los, Platz bekommen wir problemlos, ist ja Donnerstag. Aber beguckt werden wir schon; Weiß gar nicht, warum.Nachdem aufgebaut ist, wollen wir gleich noch eine Runde über das Gelände gehen, kehren aber schnell um, das Gewitter kommt kraftvoll herangerollt.Das überm Heck vom Chevy gespannte Tarp hat damit Premiere und Feuertaufe zugleich: Funktioniert auch großartig, der Küchenauszug und die Sitzplätze bleiben trocken. Oh, und das Camplight-Tau von Sunnyside ist auch ganz toll:Viel mach ich nicht mehr und eigentlich bin ich auch zu müde für irgendwas. Bettchenzeit.

(swg)

Unser Aufbruch am Morgen vom kleinen Wiesenzeltplatz zieht sich, ich glaube, es fehlt und etwas mehr als nur Übung mit dem Dachzelt. Aber ich hab mir auch die Dusche gegönnt, wenn hier schon eine da ist. Bis wir endlich unseren Kram zusammengepackt haben ist es dreiviertel elf.

Jannika und Mika vergnügen sich großartig beim Gummistiefel-Weitschießen. So ist der Kleine wenigstens beschäftigt und macht keinen anderen Blödsinn.Im Licht des Tages und ohne Gewitterregen-Sturzbach sieht der Waldweg viel weniger dramatisch aus. Mit dem Wohnmobil würde ich hier aber trotzdem nicht lang fahren, es hängen immer wieder Äste sehr tief.Wir versuchen den direkten Weg zur nächsten größeren Straße. In Google Maps, so lernen wir jetzt, ist in Polen eine weiße oder gelbe Straße gerne mal nur ein Wirtschaftsweg, geeignet für Trecker. Oder höher gelegte Chevy.Ganz ohne war der Sturm letzte Nacht denn auch nicht, es gilt die Straße zu beräumen.Asphalt unter den Rädern ist trotzdem besser. Fürs Vorankommen, wie auch für Nerven und Fahrwerk.

(swg)

Den Tag haben wir besser im Griff, als den gestrigen. Zwei Etappen sind diesmal geplant, die erste endet an einem See. Es ist Sommer, die Kinder wollen natürlich baden – am liebsten im Meer, aber See ist auch ok. (Und ich weiß, dass es bei Salzwasser eh Gemäkel gäbe…). Aber mit der Pause wird die Fahrerei den Kindern nicht zu lang und sie haben ihren Spaß. Ich weiß nicht, warum wir vergessen hatten, wie es gut funktioniert. Vielleicht haben wir auch nur unsere Reisegeschwindigkeit mit dem Chevy überschätzt.

Mittags sind wir in Żnin, einem kleinen Städtchen mit besagten Badesee. Der Strand ist öffentlich und frei benutzbar. So wasserbegeistert, wie die beiden Großen, ist Mika nicht. Er platscht ein bisschen an Ufer herum, dann matscht er lieber im Ufersand.Bald wendet sich dann aber lieber dem Spielplatz zu. Ich staune ein bisschen, dass er so selbstverständlich mit nackten Füßchen über den Kiesweg stiefelt. In der Mittagshitze ist der Spielplatz leider nicht benutzbar, kein Schatten und der Sand glüht fasst. Auch wenn Mika noch nichts sagt, ich muss ja nicht darauf warten, dass er sich seine Füße verbrennt. Aber die Treppe drüben am Restaurant tut’s für Mika auch: Da kann er endlos rauf und runter tapsen.

Gegen vier beenden wir den Badespaß. Es sind Unwetter von Westen her angekündigt und so langsam zieht es zu, der Wind frischt auf. Wir versuche gen Osten zu fliehen, was mit den Chevy nicht so schnell geht, mehr als 100 km/h fährt man nicht, sonst säuft er noch mehr, als eh schon – vom Fahrverhalten bei dem Fahrwerk mal ganz abgesehen.

Mika schläft während der Fahrt gerade mal eine Stunde, dann krakeelt er in seinem Sitz, will einfach mal raus. In der kurzen Zwangspause auf einer wilden Brache können wir einen Blick zurück über die Weichsel werfen, und betrachten, was uns bald blüht. Blitze zucken unheilvoll in der verfinsterten Ferne.Beim Wenden auf der wilden, als Parkplatz missbrauchten Brache, denke ich noch ‚Eigentlich fährt man durch nix, was man nicht gut einsehen kann‘. Prompt rumpel ich über einen dicken Stein, als ich einen Bogen durchs wuchernde Grün pflüge. Mehr als ordentlich schaukeln und Gequieke aus der zweiten Reihe passiert nicht. Kniehoch Bodenfreiheit unterm Chevy-Schweller rettet mich, ich sollte aber wirklich mehr auf mein Bauchgefühl hören.

Während wir dem angepeilten Campingplatz zustreben holt uns das Unwetter ein. Stürmische Böen wehen dichte Wolken von Erntestaub über die Straße, es ist düster, wie halb zehn abends. Endlich biegen wir von der Landstraße ab. Dicke Tropfen platschen auf die Scheibe. Die Nebenstraße ist extrem holprig, mehr Flicken als Fahrbahn. Schon 50 km/h sind zu viel, sagt wenigstens die zweite Reihe. Wir meandern durch Weltuntergangsstimmung auf schmalen Sträßchen von einem Siedlungshäuschen zum nächsten immer durch Felder. Die Sträßchen werden eher schlimmer, weil jetzt immer mehr Flicken im Asphalt fehlen. Und es beginnt zu schütten, wie aus Eimern. Nächster Abzweig rechts: Schotterpiste. Vorbei an noch zwei Häusern geht es in den Wald. Ohne Schotter, zwei Fahrspuren mit Grün dazwischen. Das wir noch richtig sind, zeigen handgeschnitzte Holzschilder mit ‚Camping‘ als Aufschrift. Den Abzweig hätte ich fast verpasst! Der wurzelige Pfad rechts den Berg hinunter sieht auch eher wie ein Wanderweg aus. Aber was soll mit den Chevy schon schief gehen? Am Ende findet sich tatsächlich eine Campingwiese mit einem Schild mit Telefonnummern drauf. Es komme in ein paar Minuten jemand, heißt es am anderen Ende, wir werden aufgenommen.

Den Platz hat Maria vorher recherchiert und wir wissen, dass es hier eine Gemeinschafts-Hütte gibt. Wie großartig die aber ist, ließen die Fotos nur erahnen.Es gibt Couch, Esstisch und eine Küchenzeile, alles da fürs Abendbrot. Hier dürfen wir heute auch drin Schlafen, was ob des Unwetters keine schlechte Idee ist; Wir sind die einzigen Gäste. Außerdem muss ich morgen früh kein nasses Dachzelt zusammenklappen; Das bleibt zu, nur der Chevy wird nass.

(swg)

Vielleicht will ich zu viel, zu schnell, zu … Weiß ich nicht. Uns fehlt Routine mit dem Dachzelt, mir fehlt Vertrauen in den Chevy, den Kindern fehlt ihr Freiraum. Unsere zweite Etappe mit über 350 km war überambizioniert. Mit dem Chevy ist man nicht schnell und von Südwesten nach Nordosten durch Polen sowieso nicht. Das alles zusammen fühlt sich gerade einfach nur falsch an.

Der erste Campingplatz war eigentlich gar nicht so schlecht, ein privater im Wald – Strom hätt’s, Wasser auch, aber kein Abwasser. Für nur eine Nacht zum Stehen vollkommen ok.Dahin haben wir schon mal die Qualität von Polens Hinterland-Straßen erleben dürfen: stark ausbaufähig sanierungsbedürftig.

Der Abbau hat ziemlich Zeit gekostet, wie gesagt fehlt uns einfach die Routine am Dachzelt. Und auch eine sinnvolle Ordnung in allen Kisten muss erst hergestellt werden. Es muss sich erst finden, was wir wirklich immer direkt im Zugriff brauchen, und was vielleicht tiefer verbuddelt sein darf.Bis halb zwölf brauchen wir für die Abfahrt…

Unseren Zwischenstopp mit etwas Ergänzungseinkauf haben wir in Świebodzin eingelegt.Świebodzin JesusHier steht Jesus’s weltgrößtes Abbild, größer sogar noch, als auf dem Zuckerhut. Vermutlich muss man gläubig sein, um das großartig finden zu können. Viel Beton für eitles Geprotze.Unser Mittagspicknick aus Tomate-Mozzarella in seinem Schatten schmeckt jeden Falls.

Eigentlich liegt unser Ziel-Campingplatz deutlich hinter Poznan. Aber es zieht sich und so zielen wir kürzer auf einen kleinen Zeltplatz an einem See. Dort angekommen müssen wir feststellen, dass man einen Platz bis 16:00 Uhr im Gemeindehaus hätte reservieren müssen. Damit haben wir nicht gerechnet. Und jetzt? Mika hat keinen Bock mehr auf Autofahren, ist totmüde, schläft im Auto aber trotzdem nicht. Weiterfahren wird zum Geduldsspiel werden. Herausgesuchte Plätze haben wir erst wieder in einer dreiviertel Fahrtstunde – der ursprünglich angepeilte zum Beispiel. Wir werden es riskieren müssen, hier am See können wir nicht bleiben. Vielleicht gibt es eine knappe halbe Stunde weiter einen privaten Campingplatz. Einen Versuch ist es wert.

Wir finden den Platz schnell; Aber spannend, das der Asphalt mal wieder längst aufgehört hat, ehe wir vorm Tor stehen. Hübsch ist es jedenfalls, mit Froschteich.Strom gibt es, Wasser auch und Dusche, sowie Toiletten sind vorhanden. Mika watet erstmal in den Froschteich, ist aber sehr glücklich dabei.

Wir müssen definitiv unsere Tagesetappen anders planen. So wie es jetzt ist, stresst es gerade alle zu sehr. Naja, morgen sehen wir weiter.

(swg)

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