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Es ist etwas eng in der Vinothek des Westin Bellevue, wo wir unsere literarische Reise beginnen. Nach einem Witz über den Papst lernen wir bei Jaromir Konecny etwas über Tantrasex und Brokkoliblähungen. Vielleicht etwas mehr, als ich in meinem Alter schon wissen wollte. Aber mit 56 sieht das eventuell anders aus… wenigstens legen das die glucksenden Lacher der „Damen älteren Semesters“ nahe.

Der ganze Pulk stürmt nun hinaus, um in der Kälte dieser letzten Oktobernacht den Bus zu erwarten. Die Eile war umsonst. Wir grübeln, ob es sich lohnt, zu einer anderen Station zu laufen – lang genug, dass der Bus wohl eh gleich anrollt. Wahrscheinlich sind dort eh genau so viele Leute. Der Bus rollt heran.

Mit etwas Verspätung erreichen wir die Treberhilfe. Leider haben wir Pech und die Lesung hat schon begonnen. Glücklicherweise ist der Text nicht soo lang und Regina Felber liest gleich noch einmal „Unter den Obdachlosen von Whitechapel“ von Egon Erwin Kisch. Guter Text, leider holpert sie etwas durch. Eigentlich kann sie super lesen, hat sie früher schon unter Beweis gestellt.

Die nächste Station ist nur ein paar Meter weg am Albertplatz: in der Villa Augustin, dem Erich Kästner Museum. Matthias Klösel liest ganz großartig Hermann Hesses „Die Autorenlesung“. Ohgottohgott ;) Endlich, der erste dieses Abends, der sich voll in seinen Text legt. Die Figuren enstehen tatsächlich vorm inneren Auge. Soetwas zu können finde ich ja eine bemerkenswerte Fähigkeit.

Ihn würde ich gerne mal in einem Hörbuch hören – vielleicht hat er ja schon? Keine Zeit nachzugucken, die Hatz geht weiter.

Auch zum Neustädter Bahnhof sind es wieder nur ein paar Schritte. Wir warten nicht erst auf den Bus, der prompt an uns vobei fährt. Trotzdem kriegen wir noch Sitzplätze. Roland Florstedt liest uns „Prager Fracht“. Mathias Kopetzki hat eine erste Reise nach Prag aufgeschrieben, die unfreiwillig in einem Sarg stattfindet… Ganz nett und lustig. Passt auch zu Bahn, so komfortmäßig… Nee, bin ich garstig!

Da wir bis zum Bus noch etwas Zeit haben, suchen wir im Bahnhof nach etwas Essbarem. Es hat aber nur Burger King auf. Dann muss Schokolade reichen. Der Bus kommt.

Weit draußen auf der Großenheiner Straße liegt das Tanzwerk. Hier müssen wir am Eingang die Latschen ausziehen und dürfen dann auf Gymnastikmatten platzen. Schulturnhallenflair. So dreht sich dann auch Haseks Text um Schülerstreiche. Eigentlich hab ich immer Spaß an Haseks Texten gehabt. Aber Mit dem „Spiritistischen Nachmittag“ werde ich einfach nicht warm. Soviel Mühe sich Frau Köhler auch gibt,

es dehnt sich auch der Text.

Auch im Sudhaus der Hausbrauerei Schwingenheuer wird es nicht besser. Die Stammtischgeschichtchen über „Leli“ sind nix für mich. Dafür lass ich mir ein Rotes von Lenin (so der Spitzname des Brauereibesitzers) zapfen. Köstlich! Seine Biere kriegt man in einigen Dresdner Kneipen.


Jetzt kommt ein kleines Highlight: Das Militärhistorische Museum ist seit diesen Jahres neu eröffnet. Kein geringerer als Daniel Liebeskind hat hier Hand ans Gebäude gelegt. Aus der alten Fasade ragt jetzt ein gigantischer gläserner Keil. Getuschel hinter uns empört sich, ‚Wie man denn so eine tolle Fasade mit so einem hässlichen Glaskeil verunzieren könne…‘. Dresden halt.

Ich find’s ganz nett und die Symbolik auch ok: 42° spitzer Winkel entsprechen der Anflugformation der Bomber auf Dresden.
Oben von der Plattform kann auf das Kriegsziel schauen.

Nix für Mutti: man kann durchs Gitter runter gucken.

Drinnen setzt der Keil sich fort, keine Wand ist gerade. Keine Senkrechte oder Waagerechte, die Orientierung bietet, ein leichtes Gefühl von Schwindel bzw. Seekrankheit stellt sich ein.

Auch der Text ist etwas besonderes: Geschrieben von Bernd Hohlen, dem Veranstalter der Shuttlelesungen, geht es um die Kriegsväter, ihre Heimkehr und dem vor den anderen verborgenen Grauen, dass sie erlebt haben. Phillipp Lux liest, fesselnd.

Bis Anfang 2012 ist der Eintritt im Militärhistorischen Museum Dresden übrigens frei.

Wir zwangsgammeln noch ein wenig im Foyer herum, der Bus ist gerade weg. Damit wär uns der Zahn gezogen, dass wir die Runde heute ganz schaffen.

Passend geht es weiter mit einer Backenzahnbehandlung in der Marcolini-Klinik

Karel Čapek hat „Zahnschmerzen“ geschrieben, gelesen hat es Hanns-Jürgen Weber – Eine falsche Entschuldigung mehr, nicht zum Zahnartzt zu gehen ;)

Im Saitenwechsel (Gitarren und Geigenbau au der Prießnitzstraße) treffen wir auf jemanden Besonderes: Steven Merting. Die meisten müssten ihn aus Wolffs Revier kennen.

Er liest von Jaroslav Zak „Töne strömen durch die Welt“ (aus Der verkohlte Pythagoras).

Zum Schluss statten wir dem Dresdner Sezession 89 e.V. / Galerie 3
einen Besuch ab. Von Max Brod hören wir „Frühling in Prag“ (aus Wege des Kubismus).

Na sowas, Helga Werner liest. Mit ihr hatte ich schon 2006 die Prager Nacht beschlossen.

Schön war’s. Endlich einmal wieder. Ich kann es immer wieder nur empfehlen.

(Maria, swg)

Es ist wieder so weit, der Bus karrt uns zur Literatur

(Maria, swg)

prager Nacht
Meine Güte, welch ein Zufall. Hätte ich den Morgen nicht so ewig und faul in der Koje verpennt – in Gesellschaft des Radios – wäre mir die Prager Nacht glatt entgangen: Figaro hat’s mir erzählt. Nachdem die Shuttle-Lesungen letztes Jahr mangels Sponsor ausfallen mussten, finden sie jetzt, wie früher, im Rahmen der Tschechischen Kulturtage statt. Alle Lesungen brachte man wieder an ungewöhnliche Orten zu Gehör, die Texte haben zu ihnen jeweils einen Bezug, stammen aber alle von tschechischen Autoren. Read the rest of this entry »

Diesen Samstag, 29. Oktober, fand in Dresden wieder die Prager Nacht statt: Lesungen an ungewöhnlichen Orten. Unter anderem im Sächsischen Landtag, im Klärwerk Kaditz oder den Katakomben lasen Schauspieler aus Werken tschechischer Autoren.

Besonders im Klärwerk war es herb: nein nein, nicht im Personalgebäude oder so, im Zufluß des Neustädter Sammlers wurde Literatur zu Gehör gebracht! Den Geruch von Ungeklärtem eines ganzen Stadtteiles, der unter einem dahin fließt, darf sich jeder selbst ausmahlen. Bewundernswert, wie Marcus Born das den ganzen Abend lang ausgehalten hat. Ich lese selbst gern, aber die emotionalen Vorträge waren doch irgendwie etwas ganz anderes. Tiefen Eindruck hat bei mir der Besuch im ehemaligen Stasi-Knast hinterlassen. Albrecht Goette las aus Egon Erwin Kischs Text Vierzehn Dinge in Sing Sing (Reportage), mit Kühle und leicht ironischem Unterton ließ er einen den ganzen Wahnsinn dieses Gefängnisses mitten im Hudson spüren.
Am beeindruckendsten für mich war die Lesung im Jugendstilsalon der Villa Ginsberg. Roland Florstedt las einen Brief von Bedrich Smetana. Darin beschreibt Smetana sein Ertauben. Emotion und Gestus: es fühlte sich unglaublich authentisch an.

Für mich hat sich dieser Abend absolut gelohnt. Nächstes Jahr werde ich mich wieder vom Bus in neue Literatur-Welten fahren lassen.   (swg)

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