Wo es nur geht betreibe ich meine IT-Infrastruktur selbst. Die letzte Errungenschaft ist meine eigene Nextcloud. Für das selber betreiben gibt es mehrere Gründe, die Reihenfolge der Aufzählung stellt jetzt keine Gewichtung dar. In der Hauptsache gehen einfach meine privaten Dateien/Termine/Kontakte/Fotos niemanden etwas an, soweit ich das nicht selbst teile. Und auch der Hinweis, $Marketingfuzzi sei an mir persönlich nicht interessiert und wolle mich ja nur Gruppen zuordnen können, macht das kaum besser. Ich lasse mich nicht gerne schubladisieren. Für die Nextcloud war meine Triebfeder der Gedanke, dass Google nicht den gesamten Familien-Terminkalender kennen sollte. Und es geht Google auch nichts an, wer so in meinem Telefonbuch steht.
Nachdem nun in der EU sogar die todgeglaubten Cryptowars wieder aufflammen – wie kann man so dämlich sein und eine Hintertür in Verschlüsselungen fordern?! – denken doch eine ganze Menge Leute darüber nach, wer so alles in ihr Leben guckt; Und das ist sehr gut so. Im Einzelnen möchte ich hier aufdröseln, was das Selbsthosten der Nextcloud bedeutet.
Herrsche
Fangen wir mit der Hoheit an. In meiner Nextcloud bin ich der Chef und kann sagen, was ich da drin alles an Features habe will, und was nicht. Und vor allem bestimme ich, wer etwas sehen darf. Die Cloud ist mir
– Dateiablage,
– Terminkalender,
– Kontaktverwaltung,
– Einkaufslisten und Projektorganisation (via Deck, einem Kanban-Board),
– Messenger (Talk mit Videochat!) und
– Online-Musikplayer (meine Musiksammlung liegt da rum).
All unsere Handys synchronisieren ihre Adressbücher und Terminkalender hier hinein, untereinander teilen können wir die natürlich ebenfalls. Die Fotos unserer Handys werden automatisch hochgeladen, sowie sämtliche Dateien, die ich als wichtig empfinde. Ich brauch‘ mich absolut nicht darum kümmern, das läuft von selbst. Es ist einfach mein gesamter Datenschatz für mich immer und überall zugreifbar, wenn ich nur Internet habe.
Ein voll cooles Feature ist die Musik-App: Meine Musiksammlung habe ich in die Cloud gelegt. Direkt über das Webinterface der Cloud kann ich die durchsuchen und abspielen. Fetzig!
Der absolute Killer ist die Messenger-App Talk: Alle Nutzer der Cloud können sich miteinander unterhalten. Es lassen sich Räume anlegen, in denen man zu mehreren chatten und sogar videotelefonieren kann! Als Dreier-Videokonferenz funktioniert das ganz ohne Probleme. Zu viert geht auch, darüber soll es Performance-Probleme geben. Da muss ich mal noch etwas mehr experimentieren.
Damit sind wir nach der Herrschaft und Zugreifbarkeit bei der nächsten großartigen Möglichkeit der eigenen Nextcloud: dem Teilen!
und teile
All die Daten, die man in der Nextcloud liegen hat, kann man mit anderen teilen. Dateien mit jemandem da draußen teilen? Ohne Account in dieser Cloud? Kein Problem: Einfach einen Link auf den Ordner/die Datei erstellen und verschicken! Alles lässt sich passwortschützen & mit Berechtigungen versehen. Pappt man einen Ablauftermin dran, vergisst man nicht mal die Freigabe wieder zu deaktivieren. Benutzt hab ich das Teilen von Dateien sogar schon mit Behörden. Als ich den Bus mitten im Corona-Lockdown zulassen musste, habe ich alle Dokumente in der Cloud abgelegt. Eine Email mit dem Freigabe-Link an die Zulassungsstelle und der freundlichen Frage, ob noch was für den persönlichen Termin fehlt, wurde schnell beantwortet. Ein Antrag wurde mir noch reingelegt, dann war alles komplett. Sehr geil.
Einfach mal Videotelefonieren mit Leuten ohne Account? Geht auch: Einen Talk-Link erstellen und verschicken. Mit nahezu jedem Browser kann man beliebig Leute einladen. Silvestergrüße haben wir videotelefonisch quer durch die verstreute Familie winken können.
Noch viel wichtiger sind die Funktionen intern: In erster Linie lassen sich Termine und Telefonbuch sehr leicht gemeinsam pflegen. Den Alltag kann man aber noch deutlich mehr organisieren. Mit Deck gibt es beliebig gestaltbare Kanban-Boards. Wir verwalten darüber gemeinsame Einkaufslisten, Aufgaben und Planung zum Beispiel zur Instandhaltung der Wohnung und auch größere Vorhaben, wie den Umbau vom Wohnmobil. Insgesamt geht im Alltag dadurch deutlich weniger unter bzw. wird vergessen.
Besitze!
So eine Nextcloud kann man auf verschieden Arten betreiben: Fertige Installationen lassen sich bei verschiedenen Anbietern mieten. Bei diversen Hostern lässt sich das Paket auch selbst installieren, Webspace reicht, man kann auch einen V-Server nehmen – ganz nach eigenem Anspruch.
Der Nachteil ist hier, dass man nicht Herr über den Rechner ist, auf dem das läuft. Und mein Vertrauen in die fremd-betriebene IT-Infrastruktur lässt immer weiter nach. Nicht das die Anbieter nicht kompetent wären, aber wer noch so alles auf meine Daten und Kommunikation gucken können möchte… Der EU-Rat hat gerade gucken lassen, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aufmachen können zu wollen. Das ist nicht nur haarsträubend hanebüchen, es ist schlicht eine gefährlich antifreiheitliche Entwicklung!
Selber machen ist also angesagt, um nicht zu sagen: dringend geboten! Alles, was man braucht, ist ein halbwegs potenter Internet-Anschluss und ein kleiner Rechner – wie den RaspberryPi 4 (4 GB RAM) – und eine SSD als Datenhalde. Für jemanden, der das in dem Umfang noch nie gemacht hat, schätze ich den Aufwand inklusive des Betriebssystems (Raspian), Webserver, Datenbankserver, TURN-Server (wg. Videotelefonie) und dem Nextcloud-Paket auf zwei Abende. Dafür sollte man aber kein völliger Linux-Neuling sein und vielleicht schon etwas Kontakt mit Linux gehabt haben. Seine Handys mit allen Apps auszustatten und Daten, Kontakte und Kalender in die Cloud zu hieven wird noch einen Abend drauf gehen.
Für den einen oder anderen klingt das vielleicht viel, ich halte das aber für einen eher kleinen Aufwand für die Souveränität, die man damit zurück gewinnt. Wie ich die Nextcloud eingerichtet habe, soll in einem nächsten Artikel folgen.
(swg)