Wir haben es tatsächlich zeitig von unserem RMK-Platz herunter geschafft. Nur eine halbe Stunde fahren wir, dann stehen wir auf dem Zeltplatz bei Tallinn. In Tallinn selbst gibt es keinen richtigen Zeltplatz und die angebotenen Stellplätze von Hostels und anderen fallen eher mit durchwachsenen Bewertungen auf. Aber einen Platz außerhalb mit einem Haltepunkt der Metro gibt es und den haben wir gewählt.
Tallinn
Der Zeltplatz punktet schonmal mit einem tollen kleinen Spielplatz. Den Rest begucken wir später.Es gibt kein großes Federlesen: Der Chevy wird einfach auf den Campingplatz gestellt, wir sammeln unseren Kram zusammen – was wir so für eine Stadtbesichtigung benötigen – und dann machen wir uns auf den Weg, Tallinn.Der Bahnsteig zur Metro liegt 10 Minuten entfernt. Ein halbe Stunde zu früh hätten wir vielleicht nicht da sein müssen, hier fahren Züge pünktlich.
Unsere erste Hürde müssen wir im Zug überwinden und Tickets kaufen. An einem Display kann man einfach seine Ticketart und -anzahl wählen, dann hält man seine Debitkarte dran. Und wo bleibt jetzt das Ticket? Stellt sich heraus: Man hält seine Karte nur ans Terminal und es zeigt die gültigen Tickets an – genau das macht die Kontrolleurin. Genial einfach! Wir sind Digitalisierung einfach nicht gewöhnt…
Ein guter Grund den ÖPNV nach Tallinn hinein zu benutzen liegt an der Tatsache, dass das Zentrum gerade eine einzige große Straßenbaustelle ist. Man steht einfach überall im Stau. Wir nicht. Am Bahnhof lassen wir uns mit allen anderen aus der Station schwemmen. Gleich gegenüber sind die Markthallen, wo wir uns mit ein paar herrlichen Pflaumen für unterwegs versorgen. Im Biomarkt dort soll es auch glutenfreie Nahrungsmittel, insbesondere Brot, geben, so richtig fündig werden wir aber nicht.
Im alten Industrieviertel Kalamaja hat sich ein reges Kneipen- und Kunstviertel etabliert: Telliskivi Creative City. Alina hat direkt die ‚Banksy‘-Ausstellung entdeckt, sie gastiert gerade in Tallinn.Prinzipiell würde mir der Besuch auch gefallen. Die müssen wir leider auslassen. Ich wäre gern länger in Tallinn geblieben, allein es mangelt an Zeit.
Ich bin sehr angetan von der Telliskivi Creative City: Das Flair hier im Viertel gefällt mir auf Anhieb besser, als die Dresdner Neustadt. Und das liegt nicht nur am fehlenden Schmutz.Einmal schön Essen gehen, dass wollen wir Alina noch schenken. Es gibt im Szeneviertel wohl ein 100% glutenfreies Restaurant. Rezensionen empfehlen eine Reservierung auch unter der Woche; Und um die zu bekommen gucken wir mal persönlich vorbei, weit ist es ja eh nicht. Am Ende gefällt es uns nicht. Oder ist zu. Aufgegeben. Pleiten haben wir ja nun schon genug erlebt.Ist noch da! der Tisch reserviert, dann machen wir jetzt unseren Touri-Stadtbummel.
Zurück am Bahnhof vorbei geht es zu Tallinns Domberg; Dort erklimmen wir ihn über die ‚Patkuli trepp‘, immer an der Mauer hoch. Mika hat seine helle Freude daran, Treppen sind sein Ding. Oben hat man einen herrlichen Blick über die Stadt. Tallinns Dom und Altstadt sind schön, keine Frage, historisch bedeutsam, sicher. Und doch kommt es mir auch hier vor, als sei es nur noch eine Fassade. Belebt durch Touristen – obwohl man vielleicht eher „menschengefüllt“ sagen sollte (lasst Euch nicht von meinen Fotos täuschen, ich hab oft lang genug gewartet und die Menschen ‚rausgeknippst‘). Typisch für so viele europäische Städte und traurig zugleich. Das Leben tobt offenbar in anderen Stadtteilen.Gerne würde ich mir mehr von der Stadt genauer angucken. Dafür hätten wir aber deutlich mehr Vorbereitung benötigt. Und natürlich Zeit jetzt, zum gucken. Maria hat die Touristenroute durch die Altstadt rausgesucht und aufs Tablet gezogen, die wir ablaufen. Aber länger sich irgendetwas geschichtliches angucken ist nicht wirklich drin. Meist lese ich den Kindern schon zu lange die Infotafeln durch. Vielleicht wenn sie älter sind. Jetzt geht herumstreunen und Zeit verdödeln nur, wenn es eine Moorwanderung ist…
Im Pfarrgarten des Doms legen wir eine kleine Pause ein, Pflaumen essen. Mit Live-Musik. Die Kinder lassen es sich nicht nehmen, ein paar Euro im Chello-Kasten klimpern zu lassen.Ich werfe immer noch gerne einen Blick in die Kirchen einer Stadt. Der Prunk, den man sich dort immer geleistet hat in Anbetracht dessen, was die Menschen damals zur Verfügung hatten, fasziniert mich irgendwie. Glaube ist eine verrückte Sache. Und wahrscheinlich ist es auch die Ruhe, die dort herrscht. Damit bekomme ich eine kleine Pause vom Lärm der Stadt draußen.Wir meandern weiter und kommen an der Alexander Nevski Kathedrale vorbei; Nur reingucken dürfen wir hier, fotografieren ist drinnen verboten.Von hier gehen wir rüber zum Rathausplatz. Hier steht eine von Europas ältesten, durchgängig betriebenen Apotheken. Schon seit 1422 sollen hier Arzneien verkauft werden.Unmengen an Menschen stapfen hier durch. Ich komme mir einiger Maßen fehl am Platze vor. Nichtmal Fotos mache ich drinnen, ich will nur schnell wieder raus.Bis Maria und die Kinder wieder draußen sind, steh ich rum und frage mich, wieviele Menschen eigentlich in die Apotheke passen. Gefühlt gehen mehr rein als raus. Es ist auch irgendwie nicht schön, da seine Medikamente holen zu müssen; Die Apotheke ist ja noch in Betrieb! Immer mit dem Blick von Touristen über die Schulter und der gegen den Lärm anschreienden Apothekerin. Ich hoffe wirklich, wir waren einfach zu einer ungünstigen Zeit da und es ist sonst etwas ruhiger.
Wir streunen weiter zum Stadttor. Um auf die Stadtmauer selbst zu gelangen kommen wir etwas zu spät. Es ist gleich fünf und so werden wir am Aufstieg abgewiesen.Aber unten lang ist ja auch ganz hübsch. Wir biegen noch einmal in die Altstadt ab.Der Weg führt an der russischen Botschaft vorbei. Hat Russland eigentlich noch Botschafter in Europa? Oder sind die alle abgezogen? Der Protest ist jedenfalls deutlich.Der Grund für den Touristenstrom, mit dem wir durch die Stadt schwimmen, dürften die beiden Aida-Kreuzfahrtschiffe im Hafen sein. Mir sind e-bikes mit dem Schriftzug aufgefallen, und auch Guides mit Markenlogo auf dem Schild. Alina würde die Schiffe gerne sehen. Total begeistert bin ich von der Idee jetzt nicht, bis zum Essen haben wir aber noch Zeit. Da der Weg zum Hafen nicht so weit ist, machen wir das, Kreuzfahrtschiffe gucken.
Am Hafengelände liegt ein großer, abbruchreifer Komplex, von dem man gut gucken kann. Er wirkt eigenartig fremd, vor allem durch seinen Verfall, den man hier in Tallinn so gar nicht erwartet.Dort drüben liegen die Schiffe:Was das eigentlich für eine Ruine ist, haben wir uns gefragt: Linnahall war eine Multifunktionshalle, gebaut für die Olympischen Sommerspiele 1980. Cafés und eine Eissporthalle waren da drin. Mal sehen, was Tallinn draus macht. Ich denke ja, sie werden das Ding schleifen, der Geschichte wegen. Ach guck, es gibt ’ne „Vision“ davon, das Ding als Konzerthalle zu verwenden. Schwer zu sagen, wie aktuell das ist.
Wir wenden uns nochmal zur Altstadt, den Rest unserer Touri-Route abzulaufen. Unten vor der Stadtmauer ist ein richtig schöner Park gestaltet. Fast schon herrscht so etwas wie Ruhe.Der Park und der Platz der Türme hier unten sind wirklich schön. Für uns ist die Zeit fast ran, etwas essen zu gehen. Auf nach Kalamaja, vom Platz der Türme ist es nicht weit. Vorher gibt’s aber noch die Karte von der Altstadt-Tour:
glutenfrei
Ich hab vergessen, wann wir zuletzt essen waren. Zöliakie hemmt jeden Ausgehversuch und selbst ‚mal schnell zwischendurch‘ geht einfach nicht. Und Mika tut sein Übriges dazu: Er hält es ca. 5 min und drei Pommes lang in seinem Stuhl aus. Dann zeigt er ‚fertig‘, rupft sein Lätzchen vom Hals und beginnt aus dem Stuhl zu klettern. Er will raus und rumlaufen. Selbstredend rennt man ihm dann besser nach, dass er nicht die Kabel aus der nächsten Box zieht oder sonst irgendwas interessantes entdeckt, das er aus- oder abräumen kann.
Aber wir haben einen Tisch im Kivi Paber Käärid.Ein glutenfreies Restaurant zu finden, dürfte einem 6er im Lotto gleichen. Wenn es, wie das Kivi, 100%-glutenfrei ist, braucht man sich auch um Kreuzkontamination keine Sorgen machen. Alina freut’s, endlich mal keine Allergene suchen. Die bestellten Burger sind prima und auch der Nachtisch – Schokokuchen mit Blaubeeren – lässt keine Wünsche offen.Natürlich rennt einer von uns laufend dem Kleinen hinterher. Der ist immer schnurstracks zur Tür hinaus, draußen ist es nämlich viel interessanter. Vor allem erinnert er sich an den Spielplatz, den strebt er als erstes an. Von „in Ruhe essen“ kann nicht die Rede sein, aber immerhin hat es allen geschmeckt und am Ende sind alle satt und zufrieden.
Wir müssen noch unser Nachtlager bereiten: Der Chevy ist ja von uns einfach auf dem Zeltplatz abgestellt worden. Der Zug bringt uns zurück zum Zeltplatz..Es mutet immer noch kurios an, einfach seine Debit-Karte ans Terminal zu halten um einerseits Tickets zu zahlen und andererseits deren Gültigkeit zu prüfen (wenn ihr das Fahrzeug wechselt, Karte im neuen ans Terminal halten, zum validieren). Aber hey, wieviel einfacher könnte man es noch machen?
(swg)